06. Dezember 2020 Am Lieferkettengesetz führt kein Weg vorbei, sagt Dr. Franziska Humbert, Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Oxfam* Deutschland. 2016 hat sich die Bundesregierung verpflichtet, 2018 hat der Sozialausschuss der Vereinten Nationen angemahnt, endlich einen gesetzlichen Rahmen für die nationale Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zu schaffen. Aktuell wird immer n noch nicht gehandelt, sondern verhandelt.
Frau Humbert, warum ist der Widerstand so groß – ein Reflex der Lobbyisten? Welche Rolle spielt dabei Angst vor Mehrkosten und Mehraufwand und vor einer Haftung?
Franziska Humbert: Die Kampfansage kommt von den Verbänden und vom Wirtschaftsministerium, die sagen, vor allem die nicht ganz großen Unternehmen könnten den Anforderungen eines Lieferkettengesetzes nicht entsprechen, das sei für sie nicht leistbar. Dabei ist die Sorgfaltspflicht selbst gar nicht so strittig. Man sieht auch jetzt während der Corona-Pandemie, dass Unternehmen, die sich um ihre Lieferkette kümmern und sich Nachhaltigkeit auf ihre Fahnen geschrieben haben, besser dastehen. Da decken sich unsere Erfahrungen mit der Einschätzung der EU. Die Mehrkosten, die entstehen, wenn sich ein Unternehmen an den UN-Leitprinzipien ausrichtet, sind nach EU-Untersuchungen verschwindend gering, allemal im Verhältnis zum Schaden, der durch mangelnde Sorgfalt entstehen kann, wie man am Beispiel des Einsturzes der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch sehen konnte. Aber wir sind ja daran gewöhnt, dass die Wirtschaft bei jedem neuen Gesetz, das auf sie zukommt, ob es um Umwelt- oder Menschenrechte geht, behauptet, dass das nicht
machbar sei. Da wird auch viel Angst geschürt. Wer sagt, die Unternehmen würden bei einem Lieferkettengesetz mit Haftung mit einem Bein im Gefängnis stehen, scheint ja geradezu davon auszugehen, dass deutsche Unternehmen generell auf Kosten von Menschenrechten produzieren.
Sie waren als Juristin an einem Rechtsgutachten beteiligt, das die Initiative Lieferkettengesetz erstellt hat. In ihm legen die an der Initiative beteiligten Organisationen dar, wie ein solches Gesetz sinnvollerweise aussehen müsste. Warum ist für Sie die Frage der Haftung so entscheidend?
Franziska Humbert: Unserer Auffassung nach greift ein solches Gesetz nur dann, wenn es eine zivilrechtliche Haftung beinhaltet. Berichtspflicht, Offenlegungspflicht sind wichtig, damit man prüfen kann, wie die Unternehmen agieren und gegebenenfalls Druck über „naming und shaming“ auf sie ausüben kann. Die Unternehmen haben ja auch einen Ruf zu verlieren. Aber der Kernpunkt ist für uns die Haftung. Sobald es um Haftungsfragen geht, bekommt das Lieferkettengesetz mehr Gewicht. Wenn Konzernjurist*innen involviert sind, kommt das Thema auf eine andere Ebene. Es ist dann nicht mehr bei Unternehmensphilosophie und Freiwilligkeit angesiedelt, sondern im Bereich Compliance, wo es um die Einhaltung von Gesetzen geht. Haftung bedeutet
Zugang zu Rechtsschutz für diejenigen, die durch das Verhalten deutscher Unternehmen in anderen Ländern Schaden erlitten haben. Das macht einen Unterschied.
Ist das Lieferkettengesetz ein kleiner oder ein großer Schritt zu mehr Gerechtigkeit?
Franziska Humbert: Es ist kein Allheilmittel, aber ein großer Sprung nach vorne. Das globale Ungleichgewicht muss endlich ausgeglichen werden. Unternehmen, die seit Jahrzehnten ihre Produktion in den globalen Süden verlagern und von niedrigeren Sozial- und Umweltstandards profitieren, werden belohnt mit Investitionsschutzverträgen, die es ihnen erlauben, gegen Regierungen zu klagen, und mit Handelsverträgen, die ihnen Zölle ersparen. Die Menschen aber, die in den Produktionsländern unter teils verheerenden Arbeitsbedingungen leiden oder denen das Land weggenommen wird, haben kein
wirkungsvolles Instrument, das sie schützt. Dafür ist das Lieferkettengesetz unabdingbar und auch als deutliches Signal nötig: Man kann so nicht weitermachen.
Wie wichtig ist die Frage nach der Größe der Unternehmen, für die das Gesetz gelten soll?
Franziska Humbert: Ich bin mir sicher, dass man sich über die Größe der Unternehmen, die Bilanz- und Umsatzsumme und die Zahl die Mitarbeiter*innenzahl einigen wird. Ich bin mir auch sicher, dass die Grenze der Mitarbeiter*innenzahl nicht bei 5.000 liegen wird, wie es Wirtschaftsverbände wollen. Das wäre eine Farce. Denn dann würde das Gesetz nur relativ wenige Unternehmen betreffen. Damit machte man sich als Bundesregierung unglaubwürdig. Wir fordern eine Untergrenze von 250 Mitarbeiter*innen. Dann würde das Lieferkettengesetz für etwa 13.000 Unternehmen gelten, bei 500 wären es die Hälfte davon, also eine durchaus relevante Zahl von Unternehmen.
Unser Nachbarland Frankreich hat bereits seit 2017 ein Lieferkettengesetz. Welche Erfahrungen hat man dort damit gemacht?
Franziska Humbert: Die Erfahrungen der Länder, in denen das Gesetz schon gilt, entkräften die Argumente der Gegenseite. In Frankreich gibt es seit Inkrafttreten des Gesetzes fünf Fälle, die sich mit Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten beschäftigen. Einen reinen Haftungsfall hat es in Frankreich bisher noch nicht gegeben. Es droht also keineswegs eine Klagewelle, wie zuweilen behauptet wird. Klagen kann man wirklich nur in den seltensten Fällen. Die Hürden sind hoch. Es muss Betroffene geben, die wirklich klagen wollen und die erforderlichen Beweise beibringen können. Unternehmen haften nur dann, wenn sie einen Schaden hätten voraussehen und auch vermeiden können. Wir verlangen nichts Unzumutbares, sondern im Gegenteil etwas, das mit den
Grundsätzen des deutschen Rechts übereinstimmt. Bei jeder Großveranstaltung haften Unternehmen als Auftraggeber, wenn es um besondere Risiken geht, und haben eine Überwachungspflicht. Genau das wollen wir auf den globalen Kontext übertragen. Große Unternehmen sind doch jetzt schon vor Ort und prüfen, was in ihrer Lieferkette los ist – im Qualitätsbereich können sie die sehr genau zurückverfolgen. Zu sehen, wo sind die Risiken, und was kann ich tun, um sie zu minimieren, ist ein normaler Vorgang und keine Zumutung. Darum kann ich die Abwehr eigentlich nicht verstehen.
Im Fall des Einsturzes der Textilfabrik in Bangladesch hat das Unternehmen Kik rund 70 Prozent der Waren abgenommen, die hätten also durchaus Druck auf die Zulieferer machen können und auf Brandschutz und Arbeitsschutz bestehen können, aber das ist in der Lieferkette nicht immer der Fall. Allerdings sagen die UN-Leitprinzipien auch, dass beteiligte Unternehmen sich zusammenschließen sollen, wenn sie alleine nicht genug Einfluss haben. Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass sie verklagt werden können, müssen ihre Unternehmen auch darauf vorbereiten. Eine transnationale Klagemöglichkeit ist auch deshalb so wichtig, weil die Menschenrechte nicht in allen Ländern beachtet werden.
Oxfam ist international aufgestellt und in vielen Ländern mit eigenen Büros vertreten. Wie sieht die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaften in Ländern des globalen Südens aus?
Franziska Humbert: Wir arbeiten schon lange mit Zivilgesellschaften zusammen. Die UN-Leitprinzipien gelten überall. Die Diskussion um ihre Umsetzung und Initiativen, die darauf hinarbeiten, gibt es natürlich auch in Ländern des globalen Südens. Ich weiß es anschaulich aus Brasilien oder aus Costa Rica. Es gibt eine starke Zivilgesellschaft dort, es gibt Gewerkschaften, Kooperativen, die gegen Ausbeutung auf den Ananasplantagen, Grundwasserverseuchung, Umweltverschmutzung vorgehen. In Costa Rica beispielsweise existiert eine richtige Ananasbewegung. Mit ihr haben wir uns zusammengeschlossen. Ich habe Gespräche mit Vertreter*innen von Kammern und Politik geführt. Dass Deutschland ein relevanter Einkaufsmarkt ist, macht es möglich zu sagen, wir achten auf die Zustände in den Plantagen.
Ein Lieferkettengesetz in Deutschland ist natürlich unsere Sache, aber Fakt ist, dass es eine globale Bewegung gibt, die sich dafür einsetzt, dass Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden, die von den Produktionsbedingungen in Ländern des globalen Süden profitieren. Die, bei denen das Geld und die Macht sitzen, sind nicht die Zulieferer. Das sind die Einkäufer. Trotzdem würde, wenn in einem der Länder etwas passiert, zunächst geprüft, was vor Ort geschehen muss. Die internationale Durchsetzungsmöglichkeit durch ein Gesetz hilft aber auch da, wo im Land selbst die Verfahren mangelhaft sind oder durch Korruption behindert werden. Dass sich auch Unternehmen selbst besser vernetzen wollen, sieht man an Initiativen wie ACT (Action Collaboration Transformation) im Bekleidungsbereich, an der sich Gewerkschaften vor Ort, internationale Gewerkschaften und Unternehmen beteiligen.
Was ja vermutlich auch mit der Erkenntnis zu tun hat, dass Unternehmen hierzulande daran interessiert sind, ihre Rohrstofflieferungen zu sichern, wie beispielsweise im Kakaosektor deutlich sichtbar.
Franziska Humbert: Der Kakao ist ein gutes Beispiel. Initiativen, die versuchen, im Kakaosektor etwas zu verbessern, gibt es schon seit den 1990er Jahren. Lange tat sich nichts. Erst jetzt, wo die Produktion von Kakao bedroht ist, tun sich Unternehmen zusammen. Da gibt es ein Eigeninteresse. Das ist im Bekleidungsbereich nicht anders. Wenn die Produktion nicht sichergestellt ist, kann man nicht mehrmals im Jahr neue Kollektionen rausbringen. Das Bewusstsein dafür, dass Verantwortung in der Lieferkette notwendig und sinnvoll ist, wird sich durchsetzen.
Was wir wollen, ist ein fairer Wettbewerb, bei dem alle Unternehmen auf der Grundlage der UN-Leitprinzipien agieren können und müssen. Wir wissen, dass das geht. Wenn die deutsche Wirtschaft ein solches Lieferkettengesetz nicht aushalten kann, ist das ein Armutszeugnis.
Foto: Oxfam